Montag, 8. August 2022

Was ist ein Beweis?

Gibt es Beweise für ein Leben nach dem Tod? Bevor wir darauf antworten, lasst uns erstmal klären: Was ist das eigentlich – ein Beweis?

Die Antwort hängt davon ab, wovon wir reden: In der Mathematik versteht man unter Beweis etwas anderes als in der Physik oder in einer Gerichtsverhandlung.

Beweise in der Mathematik …
Absolut zwingende Beweise, gegen die kein Einwand möglich ist, gibt es nur in abstrakten Disziplinen wie Mathematik und Logik. Hier spielt sich alles innerhalb eines rein formalen Systems nach fest definierten Regeln ab. Alle anderen Wissenschaften müssen sich an der Realität messen lassen, die uns umgibt.

… der Physik …
Physik und Chemie kommen der absoluten Sicherheit der Mathematik nahe, weil sie mathematisch modellierbar und experimentell beliebig oft wiederholbar sind. Newtons Gravitationstheorie beispielsweise lässt sich in mathematischen Formeln ausdrücken, die sehr präzise Vorhersagen erlauben. Ihre Richtigkeit lässt sich jederzeit experimentell überprüfen. Dennoch gilt Newtons Theorie heute nur noch als eine – immerhin sehr praktikable – Annäherung an die physikalische Realität. Als präziser und treffender hat sich Einsteins Relativitätstheorie erwiesen. Auch eine mathematisch modellierte und unzählig oft überprüfte Theorie kann also eines Tages durch eine bessere Theorie abgelöst werden.

… der Klimaforschung …
Experimentelle Überprüfbarkeit ist ein starkes Kriterium. Aber diesen Maßstab dürfen wir nicht an alle naturwissenschaftlichen Theorien anlegen: Der Urknall beispielsweise ist ein einmaliges Ereignis in der Vergangenheit. Dass er sich ereignet hat, lässt sich aus beobachtbaren Phänomenen erschließen, aber in Experimenten wiederholen lässt sich der Urknall nicht.

Von den Klimawissenschaften sollten wir ebenfalls keine experimentelle Überprüfbarkeit fordern. Denn die Katastrophe, vor der sie warnen, wird ihre volle Wucht erst in der Zukunft entfalten. Ob sich das Schlimmste noch abwenden lässt, ist von Voraussetzungen abhängig, die die Klimaforschung nicht vollständig erfassen und schon gar nicht kontrollieren kann. Nur so viel steht fest: Wir müssen handeln, bevor das Klima kollabiert – sprich: bevor wir den ultimativen Beweis für die Richtigkeit der Katastrophenwarnung in der Hand haben.

… der Biologie ...
Auch das Kriterium der mathematischen Modellierbarkeit ist nicht auf alle naturwissenschaftlichen Theorien anwendbar. In der Biologie beispielsweise ist zwar experimentelle Überprüfbarkeit möglich: Unzählige Laborratten können immer wieder mit demselben Versuchsaufbau gequält werden. Aber in mathematische Formeln gießen lassen sich die Ergebnisse nicht.

Weitere Abstriche müssen wir bei den naturwissenschaftlichen Theorien machen, die weder mathematisch modellierbar noch experimentell überprüfbar sind. Das gilt beispielsweise für die Evolutionstheorie oder für die Paläontologie, also die Wissenschaft historischer Lebewesen, die nur noch als Fossilien verfügbar sind. Doch können auch solche Theorien sehr stichhaltig sein, wenn sie durch hochwertige Funde in hoher Zahl bestätigt werden.

… der Multiversen-Theorie ...
Und dann gibt es noch naturwissenschaftliche Theorien, die weder an der Realität überprüfbar noch mathematisch modellierbar noch experimentell wiederholbar sind. Solche Theorien haben keinerlei Beweiskraft, es handelt sich um reine Spekulationen. Ein Beispiel ist die Multiversen-Theorie, nach der es außerhalb unseres Universums noch weitere Universen gibt. Ob das wahr ist, lässt sich nicht feststellen.

… in den Geschichtswissenschaften … 
Verlassen wir die Sphäre der Naturwissenschaften und wenden wir uns den Geschichtswissenschaften zu. Sie befinden sich in einer wenig komfortablen Situation: Ihr Gegenstand sind historische Ereignisse. Diese können nur manchmal durch archäologische Funde bestätigt werden, wie der Untergang von Pompeji. Oft müssen sich die Historiker auf wenige schriftliche Quellen verlassen, die manchmal erst Jahrzehnte nach dem berichteten Ereignis verfasst wurden. Dürfen wir solchen Quellen trauen? Wie auch immer die Antwort im Einzelnen lauten mag: Historikerinnen bewegen sich auf vergleichsweise dünnem Eis. Damit müssen wir leben, wenn wir über wichtige Ereignisse aus Antike und Mittelalter etwas erfahren wollen.

… vor Gericht ...
Auch viele Gerichtsurteile basieren nicht auf physikalischen Beweisen, sondern auf Aussagen von Zeugen. Wenn glaubwürdige Zeugen unter Eid Aussagen machen, die weder untereinander noch mit der realen Welt in Widerspruch stehen: Dann werden diese Aussagen als Beweise anerkannt. In der Chemie wäre so etwas undenkbar. Im Rechtswesen reicht es aus, um Menschen für Jahre hinter Gitter zu bringen.

… und in der Jenseits-Forschung? 
Und wie verhält es sich mit möglichen Beweisen für ein Leben nach dem Tod: Welche Maßstäbe sollen hier gelten?

Viele wollen den Maßstab so hoch legen, dass er von einer wie auch immer gearteten Jenseits-Forschung mit Sicherheit nicht erreicht werden kann, denn: "extraordinary claims require extraordinary evidence". Schließlich – so ihre Begründung – würde die Annahme eines Jenseits alles infrage stellen, was die Naturwissenschaften erkannt haben.

Ich halte das für falsch. Wenn es eine Dimension geben sollte, die über das naturwissenschaftlich Erfassbare hinausgeht, dann würde sich dadurch an der Naturwissenschaft überhaupt nichts ändern. Ich finde, die Frage nach dem Jenseits sollte genauso untersucht werden wie andere Fragen auch: Sollte sich herausstellen, dass Experimente möglich sind, dann lasst sie uns durchführen. Sollte sich dagegen erweisen, dass Experimente undurchführbar sind, dann lasst sie uns nicht verlangen. Sollten wir bei diesem Thema nichts anderes haben als Zeugenaussagen, dann müssten wir uns eben damit begnügen, diese zu prüfen.

Würden Sie diese Zeugenaussage zur Jenseits-Verhandlung zulassen?
In den 70er-Jahren sprach ein junger Arzt in der Notaufnahme einer psychiatrischen Anstalt mit einer Suizidantin, die gerade aus ihrem Koma erwacht war. Als er sie am Tag zuvor untersucht hatte, war sie noch nicht ansprechbar. Damals war er anschließend in einen anderen Raum gegangen, um dort mit einer anderen Patientin ein Gespräch zu führen. Nun, einen Tag später, reagierte die Suizidantin auf ihn:

„Ich kenne Sie“, sagt sie. – „Das ist möglich“, antwortete er, „ich habe Sie gestern untersucht.“ – „Nein, das meine ich nicht“, erwiderte sie.

Und dann schilderte sie ihm detailliert, was sich bei ihm zugetragen hatte, nachdem er tags zuvor in den anderen Raum gegangen war: Mit wem er gesprochen hatte und worüber, wo er und seine Gesprächspartnerin gesessen hatten, was er getragen und wie sich beide bewegt hatten. Sehr spezifische Einzelheiten also, die sie unmöglich wissen konnte und doch wusste.

Der Arzt, der diese persönliche Erfahrung berichtet hat, war Bruce Greyson. Davor überzeugter Atheist, wurde er durch dieses Erlebnis zum Mitbegründer der International Association of Near-death-studies (IANDS) und zu einem der wichtigsten Nahtod-Forscher.

Ich kann nicht beweisen, dass stimmt, was Bruce Greyson über dieses Erlebnis berichtet hat. Aber ich habe mir einen Eindruck von seiner Persönlichkeit verschafft und habe seinen Bericht auf mich wirken lassen. Seitdem kann ich nicht anders, als ihm zu glauben.

Ich habe also keinen Beweis, mit dem ich eine Skeptiker-Kommission widerlegen könnte. Aber ich habe ein Indiz, das mich überzeugt.

Dass solche Indizien die einen überzeugen, die anderen nicht, liegt in der Natur der Sache: Zeugenaussagen sind nun einmal nicht so zwingend wie mathematische Beweise. Ich schlage vor, dass wir sie trotzdem zulassen. Schließlich geht es hier nicht um Mathematik.

 Dieser Post basiert auf einem Kapitel aus „Dieu - La science Les preuves: L'aube d'une révolution“ von Michel-Yves Bolloré and Olivier Bonnassies (2021).

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